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Aktueller Artikel


Auf dem Weg durch die globale Transformation

Michael J. Tamura

 

In der heutigen Zeit fehlt uns oft eine grössere Sicht auf die verschiedenen Geschehnisse in unserem näheren oder weiteren Umfeld. Eine Sicht aus einer spirituellen Perspektive, wodurch wir hinter die Vorgänge schauen und sie als Begleiterscheinungen eines grossen Bewusstseinswandels sehen können. Der spirituelle Lehrer Michael Tamura tut genau dies auf seine einmalige, tiefgründige und doch leichtherzige Art. Damit gelingt es ihm, unsere Zuversicht und unser Vertrauen zu stärken.

 

Auszug aus einem Online-Vortrag vom 3. Juni 2022 für die Buchhandlung im Licht, Zürich


 

Bild: Lotte Kofler

Wie können wir in der heutigen Welt durch das Leben gehen? Betrachtet man die Situation auf der Welt – mit allem wie Covid-19, Kriegen, Schiessereien, der kritischen wirtschaftlichen Lage und den Klima- und Umweltproblemen –, kann uns das schon überwältigen. Es gibt auch keine klaren Antworten und Lösungen für all diese Probleme. Dazu kommt noch die persönliche Situation jedes Einzelnen. Die meisten Menschen, egal in welchem Land sie leben, haben auch ihre eigenen Lebenssituationen, die sie meistern müssen. Kein Wunder, dass die Leute etwas verrückt werden. Unsere psychische Gesundheit ist ebenfalls ein problematischer Bereich. Auf der persönlichen Ebene war es nicht nur früher so, dass die Menschen ihre Gefühle und Gedanken zurückhalten und jahrelang verschliessen. Wir wissen alle, wenn jemand das lange genug macht, wird er mit der Zeit krank werden. Und unglücklich wird er ganz sicher sein.

Schauen wir uns all diese Dinge, die sich im Moment ereignen – individuell wie kollektiv – etwas genauer an, stellen wir fest, dass dies eigentlich nichts Neues ist. All dies passiert schon seit Jahrtausenden. Was heute jedoch neu und anders ist – es läuft alles in der Öffentlichkeit ab. Deshalb kann niemand mehr den Kopf in den Sand stecken und sich davor verstecken. Das Gleiche gilt für die Menschheit als Ganzes und für die ganze Welt. Die ganze Welt schliesst uns alle ein, deswegen erscheint es so, als sei alles viel intensiver als früher.

 

Als Gattung ist die Menschheit schon lange über den Punkt hinaus, von dem es kein Zurück mehr gibt. Die Menschheit kann nicht weiter den Blick abwenden und muss jetzt die grossen Veränderungen angehen. Alles Kranke, das früher versteckt war, kommt nun hervor. Es schaut schlimm aus und es fühlt sich schlimm an. Aber es gibt auch etwas Gutes daran: Erst wenn alles offen daliegt, kann Heilung eintreten. Die globale Transformation zeigt sich in den Veränderungen, die wir jetzt sehen. Das, was sich verändert, ist aber nicht das, was wir im Aussen sehen. Eine Pandemie ist keine Transformation, ein Krieg ist keine Transformation, auch ein Zusammenbruch der Wirtschaft ist keine Transformation, ebenso wenig das Zusammenbrechen der Umwelt. All die Dinge, über die sich die Menschen im Moment die grössten Sorgen machen, sind nicht die Transformation, die wirklich vor sich geht. Was wir überall auf der Welt sehen, ist nicht die eigentliche Transformation, sondern es ist nur die Widerspiegelung dessen, was sich verändert. Solange die Menschheit auf das schaut, was sich im Aussen zeigt, und versucht, im Aussen etwas dagegen zu tun, wird keine Transformation möglich sein.

 

Ich habe eine Analogie dazu: Da ich in meinem Leben sehr viel gereist bin, habe ich viele Erfahrungen mit Hotelaufenthalten. Manchmal kam ich in ein grosses, schönes Hotel, wo gerade gebaut wurde. Diese grossen Hotels können es sich nicht leisten, während des Umbaus zu schliessen. Sie bauen etappenweise um und nehmen immer noch Gäste auf. Natürlich möchte kein Gast in einem Raum wohnen, der gerade neben den Bauarbeiten liegt, weil es laut, staubig, schmutzig und chaotisch ist.

 

So ziemlich das Gleiche passiert im Moment in der Welt. Es ist mehr als nur eine Renovierung, es wird ein Neubau. Wie bei einem grossen Wiederaufbau kann man sich noch kein Urteil bilden nach dem, was man gerade sieht. Vor allem am Anfang sieht man nur, dass alles abgerissen wird. Die alten Strukturen müssen zuerst ganz auseinandergenommen werden. Was wir Menschen im Moment jedoch tun, ist, das zu kritisieren, was kaputt ist. Die meisten erkennen nicht, dass zuerst die alten Strukturen abgebrochen werden müssen, bevor man neu bauen kann. Deswegen gibt es viele Versuche, das zu reparieren, was gerade abgebrochen wird. Würde man, um bei unserem Beispiel zu bleiben, so bei einem Hotelumbau vorgehen, wäre das verrückt. Die Arbeiter reissen eine Mauer ein und eine andere Gruppe Arbeiter kommt und baut sie wieder auf. Und das Beste, die beiden Gruppen kommunizieren nicht einmal miteinander. Wären sich aber alle einig darüber, dass das Hotel abgebrochen werden muss, damit es nachher wieder viel schöner aufgebaut werden kann, und entsprechend miteinander kommunizieren, würde es funktionieren. Solange diese Kommunikation nicht stattfindet, werden immer einige Gruppen etwas einreissen und andere kommen und bauen es wieder auf. Die Menschheit macht das schon seit Jahrtausenden so. Auch im alten Ägypten war es nicht anders. Ein Pharao baute etwas auf und ein anderer liess es wieder abbrechen.

 

Worin besteht denn nun die wirkliche globale Transformation? Das Grundlegende ist die Transformation des menschlichen Bewusstseins. Das menschliche Bewusstsein als Ganzes verändert sich, und irgendwo ist die Menschheit intuitiv bewusst genug, um das zu spüren. Aus diesem Grund ist auch schon seit längerer Zeit weitherum von einem Aufwachprozess die Rede. Aber was wacht eigentlich auf und auf welcher Ebene? Aufwachen bedeutet eine grosse Veränderung im Bewusstsein. Das normale Verständnis von Aufwachen ist das Aufwachen am Morgen aus dem Schlaf. Das Bewusstsein eines schlafenden Menschen und das Bewusstsein eines wachen Menschen unterscheiden sich wie Tag und Nacht.

Dieser ganze Aufwachprozess, der augenblicklich weltweit abläuft, ist genauso. Es handelt sich nicht um eine schrittweise Veränderung. Es geht nicht darum, ein bisschen bewusster zu sein, als man vorher war. Es geht auch überhaupt nicht darum, über etwas noch bewusster zu werden, worüber man schon bewusst war. Wahres Erwachen ist ein Erwachen in einen völlig neuen Bewusstseinszustand, in etwas, dessen man sich vorher nicht im Geringsten bewusst war. Man könnte sagen, es ist schockierend, denn es gleicht nicht irgendetwas, was man bisher gekannt hat.

Deshalb fällt es der Menschheit so unglaublich schwer, zu erwachen. Und was ist der wichtigste Faktor, der die Menschheit vom Erwachen abhält? Die Angst! Niemand möchte am Abend zu Hause ins Bett gehen und am Morgen in einem völlig anderen Land aufwachen. Wie würdest du dich fühlen, wenn du dich am Abend wie gewohnt in dein Bett legst und am Morgen erwachst und dich fragen musst, wo bin ich denn hier? Das würde dich wohl schon ziemlich aus der Ruhe bringen.

 

Von etwas Ähnlichem hat Jesus vor zweittausend Jahren gesprochen. Er hat zu seinen Jüngern gesagt, sie sollten immer weitersuchen. Gibt man die Suche nie auf, wird man auch finden. Und findet man, wird man aus der Fassung geraten. Und verliert man die Fassung, ist man verblüfft. Und wenn man verblüfft ist, kann alles mögliche Grosse und Unvorhergesehene passieren.

Jesus war ein Meister darin, die tiefsinnigsten Wahrheiten in nur wenige Worte zu fassen. Darum brauchte er aber auch seine Jünger, die den Menschen seine Worte erklären konnten. Er sagte einfach: «Hört nicht auf zu suchen.» Damit deutete er an, warum die Menschen aufhören zu suchen.

Und wann hören wir meistens auf zu suchen? Kurz bevor wir etwas finden. Aber warum sollte jemand aufhören zu suchen, gerade bevor er findet? Weil er Angst bekommt. Er weiss, jetzt stehe ich vor der Tür und wenn ich die öffne, dann werde ich das finden, wonach ich gesucht habe. Warum sollte das Angst machen? Weil man intuitiv weiss, dass dann alles vollkommen anders wird. Das Ego liebt es bequem, es liebt Eiscreme und eine warme Decke. Das Ego weiss, öffnest du diese Türe, findest du keine Eiscreme und keine warme Decke mehr. Wenn du auf dein Ego hörst, wirst du die Türe nicht öffnen. Aber du möchtest trotzdem unbedingt weitersuchen. So wirst du an einem anderen Ort suchen. Ich bin sicher, ihr wisst alle, wovon ich spreche. Ihr habt das auch schon gemacht. Ihr sucht, und kurz vor dem Ziel geht ihr woandershin suchen. Ihr wollt ja nicht aufhören zu suchen, denn dann würdet ihr die Hoffnung verlieren. Aber solange ihr irgendwo sucht, habt ihr das Gefühl, ihr macht etwas. Wer wirklich finden will – und das gehört zum Erwachen –, muss bereit sein, sich aus der Fassung bringen zu lassen.

 

Oft wenn ich irgendwo meditierte, kam plötzlich jemand in den Raum gestürmt und sobald er oder sie merkte, dass sie meine Meditation unterbrochen hatte, entschuldigte er sich für die Störung. Ich antwortete: «Mach dir keine Sorgen, ich bin schon von Anfang an verstört, mehr stören kannst du mich gar nicht.» Denn ich wachse unablässig, also werde ich ständig aus der Fassung gebracht. Das Gute daran ist, dass Jesus sagte, wenn ihr zulasst, dass ihr aus der Fassung geratet, werdet ihr Wunder erleben, und das ist mir in meinem Leben oft passiert. Ich habe lange gebraucht, bis ich feststellte, dass ich einer der wenigen Menschen bin, der zulässt, dass er aus der Fassung gerät. Denke ich an all die Zeiten zurück, wo ich wirklich aus der Fassung geraten bin, muss ich feststellen, dass ich kurz darauf ein Wunder erlebt habe. Und ich war immer vollkommen verblüfft über dieses Wunder. Wunder kann man nicht erwarten, sie sind jedes Mal vollkommen überraschend. Und das bringt einen wiederum aus der Fassung. Können wir dieses Aus-der-Fassung-Geraten mit etwas Humor und Freude betrachten, wird sich das Wunder ergeben, denn dann sind wir offen dafür und wir werden finden. Und jedes Mal, wenn wir finden, ist es ein Wunder, solange wir zulassen, dass wir zuerst einmal aus der Fassung geraten.

 

Jesus hat damals nicht gesagt, manchmal werdet ihr aus der Fassung geraten, wenn ihr etwas findet. Nein, er sagte, ihr werdet jedes Mal aus der Fassung geraten. Aber warum sollten wir aus der Fassung geraten? Weil das, was wir finden, nicht das ist, was wir erwartet haben. Es ist nie das, was wir dachten, dass es sein könnte. Wir müssen uns fragen, wenn wir nach der Wahrheit suchen, erwarten wir dann etwas Bestimmtes? Denken wir «Dieser Meister hat gesagt, die Erleuchtung ist so, also muss sie so sein»? Dann werden wir die Wahrheit nicht finden. Diese Art, die Wahrheit zu erleben, war nur für einen bestimmen Menschen. Für uns wird es nicht so sein. Deshalb müssen wir alles angehen wie ein kleines unschuldiges Kind. Ein unschuldiges Kind kennt keine Erwartungen. Wenn ein Kind einen Stein sieht, fragt es sich, was wohl darunter ist. Es erwartet nicht, einen Frosch oder einen Käfer zu finden. Und weil es keine Erwartungen hat, wird es etwas finden. Schauen wir einem kleinen Kind zu, wenn es etwas entdeckt, dann ist da zuerst immer diese Schreckreaktion, weil es etwas Unerwartetes gefunden hat. Aber das Kind bleibt nicht bei dieser ersten Reaktion, sondern geht weiter und findet das wunderbar.

 

Wenn uns das gelingt, kann uns nichts mehr passieren, wir werden souverän auf dieser Welt. Wir haften dann nicht mehr an anderen Dingen oder Menschen. Wir beginnen, unseren Platz, unser göttliches Erbe als schöpferisches Wesen in Besitz zu nehmen, und wir stellen fest, jede Erfahrung, die wir machen, kommt von innen.

 

Michael J. Tamura

 

Deutsche Übersetzung: Barbara Golan