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Aktueller Artikel


Innerer Friede - Äusserer Friede

Pyar Rauch

 

Wir erleben in der heutigen Zeit zahlreiche Konflikte, dies vor allem als ein Gegeneinander unterschiedlicher Weltanschauungen, die immer wieder zu Auseinandersetzungen führen. Dies sowohl auf der Ebene ganzer Nationen wie auch in Familien oder im Beruf. Friede im Aussen ist nicht möglich, wenn wir in unserem Inneren Unfrieden nähren. Was hilft uns, inneren Frieden zu finden und aufrechtzuerhalten dies auch in konfliktreichen Situationen? Welche Haltung trägt dazu bei, äussere Konflikte zu beenden? Die spirituelle Lehrerin Pyar geht in einfühlsamer und tiefgreifender Art diesen Fragen nach.



Bild: Lotte Kofler

Die erste Frage, die mich bei diesem Thema beschäftigt, ist, inwieweit innerer und äusserer Frieden voneinander abhängen.



Innerer Friede


Sofort tauchen bei mir sehr eindrückliche Bilder und Erinnerungen an eine für mich wesentliche Begegnung auf, die ich gerne mit euch teilen möchte. Vor einigen Jahren hatte ich die Gelegenheit eine der letzten noch lebenden Frauen zu treffen, die das Grauen des KZ Ravensbrück überlebt haben, ein Ort grössten Unfriedens im Aussen. Da auch meine Mutter dort inhaftiert gewesen war, und ich ihr aber so manche Frage nicht stellen konnte, weil sie erstens über diese Zeit nie sprach und zweitens bereits starb als ich 14 Jahre alt war, war es für mich eine grosse Ehre und Gelegenheit, Frau Margrit Rustow zu begegnen und mit ihr lange sprechen zu dürfen. Eine der Fragen, die mich persönlich schon lange beschäftigt hatten und die ich natürlich in keinem Bericht oder Buch über diese Zeit beantwortet fand, war: «Konntet Ihr dort Vögel hören?» Ihre Antwort die ich nie vergessen werde: «Kindchen, das hängt nur davon ab, wie es in deinem Herzen aussieht!»


Und sie hat Recht! Ob wir Vögel hören können, ob wir inneren Frieden empfinden, selbst unser Glücklich-Sein hängt viel mehr davon ab, wie es in unserem Herzen aussieht, als davon, wie unsere Lebensumstände sind. Ein weiteres Beispiel dafür sind zwei mir sehr nahe Menschen, deren monatelangen Sterbeprozess ich miterleben und dabei immer wieder staunen durfte mit welchem Strahlen, mit wie viel Frieden und Glück sie durch diesen Prozess gehen konnten.


Und natürlich experimentiere ich mit mir selbst und stelle immer wieder fest, dass es auch in schwierigen und sogar in konfliktreichen Situationen möglich ist, inneren Frieden zu erfahren, sobald ich bereit bin, gewahr zu sein und mich der unendlichen Weite des Bewusstseins und des Raumes öffne, ohne dabei aus der unangenehmen Situation zu fliehen.


Also ist innerer Friede nicht unbedingt von äusserem Frieden abhängig! Und das ist eine sehr gute Nachricht.



Äusserer Friede


Äusserer Friede jedoch ist durchaus abhängig von unserem inneren Frieden! Jede und jeder von uns kennt zum Beispiel zwischenmenschliche Konflikte, bei denen man aus verschiedensten Gründen versucht, den Frieden im Aussen zu wahren, ohne dabei wirklich in innerem Frieden zu sein. Meist ist dann auch dieser äussere Friede nur von kurzer Dauer. Vielleicht ist es etwas gewagt, diese Erfahrung auf grössere Zusammenhänge zu übertragen. Aber wahrscheinlich ist es schon so, dass es dauerhaften äusseren Frieden zwischen uns Menschen und zwischen Völkern nur geben wird und geben kann, wenn wir für unseren inneren Frieden sorgen, Achtsamkeit und Bewusstheit pflegen und um einen klaren Geist und Mitgefühl bemüht sind.


Mein spiritueller Lehrer Osho betonte das immer wieder. Oft wies er darauf hin, dass wir nur dann sinnvoll, nachhaltig und effektiv für Frieden, Gerechtigkeit oder Ökologie arbeiten können, wenn wir in uns selbst befriedet sind.


Äusseren Frieden, Frieden zwischen Menschen oder zwischen Völkern, auch Frieden in Familien kann man nicht von aussen anordnen. In unserer grossen Sehnsucht nach Frieden und Harmonie versuchen wird, das jedoch immer wieder.


Äusserer Frieden braucht vielmehr eine stabile Grundlage in unserem Inneren und auch das authentische und ehrliche sich mit anderen Auseinandersetzen an den Punkten, an denen keine Einigkeit herrscht. Natürlich ist diese Einigkeit nicht immer zu erreichen. Dann müssen Kompromisse gefunden werden, mit denen alle Beteiligten wiederum wirklich in sich selbst in Frieden sein können. Wenn auch das nicht möglich ist, so hilft manchmal nur ausreichender Abstand. Dieser Prozess zu einem äusseren Frieden zu kommen, kann langwierig und auch schmerzlich sein.


Wenn wir versuchen, den Prozess abzukürzen oder glatt zu bügeln, werden wir keinen stabilen Frieden in unserer Familie, an unserem Arbeitsplatz oder auch im grossen Kontext unseres Zusammenlebens als Menschen auf diesem wunderschönen Planeten Erde erreichen.



Möglichkeiten inneren Frieden zu wahren


Übung in Meditation und stillem Verweilen steht da ganz oben. Wenn wir geübt darin sind, unseren Geist fokussiert auszurichten, und auch geübt sind, ihn in offenem Gewahrsein ruhen zu lassen, haben wir die grössten Chancen, unseren inneren Frieden zu wahren.


In Meditation wird uns nach gewisser Zeit, in der wir wieder und wieder unseren eigenen Geist betrachtet haben, die wahre Natur unseres Geistes bewusst. Diese Natur unseres Geistes ist strahlend klar, ist offen weit, und sie ist freudig, eine ganz feine Freude, die von nichts abhängt. Wenn wir in die Lage kommen, uns dessen bewusst sein zu können, dann kann kein Konflikt, den wir im Aussen auszutragen haben, diese Freudigkeit und diesen Frieden in unserem Inneren bedrohen! Das ist es, was Frau Margrit Rustow als junge Frau unter schrecklichsten Bedingungen für sich entdeckt hat.


Wichtig ist auch, sich selbst möglichst gut zu kennen und mit sich selbst ehrlich und mitfühlend zu sein. Nur wenn wir uns selbst mitsamt unseren Macken wohlwollend betrachten können, können wir das auch mit anderen Menschen.


Das führt mich zu dem wichtigen Begriff der grundlegenden Gutheit. Alle Menschen sind im Kern grundlegend gut! Das ist unsere gemeinsame Natur. Egal, welche Fehler wir haben mögen, egal, wie viel Verblendung, Gier oder Hass sich über diesen Kern abgelagert haben mögen – diese unsere grundlegende Gutheit bleibt davon immer unberührt. Wenn wir uns dessen bei uns selbst und anderen erinnern, hilft uns das, inneren und äusseren Frieden zu wahren.


Also drei Punkte: Klare Weite, Freudigkeit und Gutheit.



Brücke zwischen innerem und äusserem Frieden


Wie können wir den inneren Frieden zum Wohle aller Wesen nach aussen strahlen lassen?


Wie können wir ihn nutzen, um Konflikte oder gar Kriege zu mildern und im besten Falle zu beenden?


Mitgefühl ist dafür das wichtigste Instrument. In einem buddhistischen Sutra heisst es: «Möge ich friedvoll, glücklich und leicht in Körper und Geist sein.» Diesen Satz wendet man erst auf sich selbst an und sorgt dafür, wirklich friedvoll, glücklich und leicht zu sein. Sobald das gut gelingt, denkt man wie von selbst an andere Menschen (zunächst an die, die man liebt, später aber auch an solche, mit denen man im Streit liegt) und wünscht Ihnen dasselbe Glück. Wir wissen, dass alle Menschen glücklich sein wollen. Und wir wissen, dass glückliche Menschen nicht so leicht Krieg führen. Also bringt es Frieden, wenn wir mithelfen, dass möglichst viele Menschen glücklich sind, und mithelfen dass wir selbst und andere lernen, was die eigentlichen Ursachen von Glück sind.


Die Grundlage dafür ist wiederum die Erkenntnis und Erfahrung der grundlegenden Gutheit und die Erkenntnis unserer wechselseitigen Verbundenheit, Bezogenheit und Abhängigkeit. Dazu ein Gedicht von Thich Nhat Hanh:



Beziehung


Du bist ich, und ich bin du.

Zeigt sich nicht deutlich, dass wir

miteinander verbunden,

ineinander verwoben sind?

Du hegst die Blume in dir,

damit ich schön werde.

Ich verwandle den Unrat in mir,

damit du nicht leiden musst.


Ich unterstütze dich;

du unterstützt mich.

Ich bin auf der Welt, um dir Frieden zu schenken;

du bist auf der Welt, um mir Freude zu sein.



Dieses Mitgefühl darf natürlich nicht theoretisch bleiben, sondern muss von praktischen Aktionen begleitet und getragen sein.


Zwei Literaturempfehlungen möchte ich am Ende anfügen:


  • Viktor Frankl: «Trotzdem Ja zum Leben sagen» − der Bericht eines Psychiaters und Psychologen, der das Konzentrationslager überlebt hat und tief berührend darüber schreibt, wie es ihm und manchen anderen gelang, den Sinn zu bewahren und weitgehend heil in ihrer Seele zu bleiben.
  • Thich Nath Hanh: «Nenne mich bei meinen wahren Namen» – ein Gedichtband dieses grossen vietnamesischen Zen-Meisters, in dem Gedichte, die die Schrecklichkeit des Vietnamkriegs beschreiben, gleichberechtigt neben solchen stehen, die von tiefem inneren Frieden singen, wie das oben zitierte.


Pyar